Mittwoch, 14. August 2013

Ein Findelkind von nobler Herkunft

Wenn ein Buch im Schmuddel der Grabbelkisten eines Flohmarktes schon durch seine äußere Erscheinung auffällt und die Aufmerksamkeit des Vorbeischlendernden auf sich zieht, dann wird der Einheitspreis von zwei Euro, den der Händler sowohl für ein schiefgelesenes lappiges Taschenbuch wie auch für diesen schmucken Halbfranzband verlangt, gern entrichtet und das Buch wird ungeöffnet, blindlings wie ein Holzstück oder Papierpaket eingesackt und davongetragen, wobei im Herzen des Käufers die stille Hoffnung keimt, es könnte etwas Überraschendes, etwas Hervorragendes, etwas ganz Besonderes und Einmaliges sein, was er da als noch unbekannten Buchbesitz nachhause trägt.
Es war, von außen besehen, ein wirklich schönes Bändchen, das ich da mitgenommen hatte: das matt glänzende hellbraune Leder war nur an wenigen Stellen stumpf aufgeraut; dort wo es an das (ebenfalls hellbraun) gekörnte Bezugspapier stieß, war es mit feinen Filetenstrichen gekerbt; die ausgefitzten Bünde fühlte ich als schwache Erhöhung durch das Leder; der Schnitt, vorn wohlgerundet, allseits rot eingefärbt, der Rücken durch drei breitere Streifen eines goldgeprägten geometrischen Kreuzblütenmusters gegliedert, oberhalb mit einem rotbraunen Titelschildchen und weiter unten mit einem blauen Zierschild versehen; das zweifarbige Kapital oben und unten fast unter der Rundung des „Häubchens“ verborgen – – – fast wäre mir in meiner Besitzerbegeisterung entgangen, dass unten zwischen den Seiten ein seidenes Lesebändchen herauszipfelte. Nun aber erst die Qualitäten des Vorsatzpapiers! Über einem zarten Grau mit millimeterfeiner waagerechter Riffelung war nach Art von Renaissancetapeten ein sich in der Senkrechte wiederholendes florales Muster mit Groteskfiguren in Steindruckgrün gebreitet. Darauf im Vorderdeckel ein Exlibris (Schwarz auf Chamois) von „Dr. F. Arnold Mayer, Wien“ (Älterer Mann mit weitem Mantel und Barett, in einem Lehnstuhl sitzend und in einem Folianten lesend am offenen Butzenscheibenfenster mit Blick auf eine weite, flache Landschaft). Rechts oben in einem kleinen Wappenfeld die verschränkten Künstlerinitialen JF oder FJ, zusätzlich war auf dem unteren Rand auch der Drucker „Consee, München“ angegeben. Was hatte ich da für einen Schatz in der Hand?! ... weiterlesen!

(Ulrich Goerdten)

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