Mittwoch, 7. September 2016

Luftschlösser aus Papier

Bilder zu Gedichten von Rose Ausländer
Die Oldenburger Künstlerin Heike Ellermann, bekannt als Autorin und Illustratorin von Kinderbüchern, seit einem Jahrzehnt auch mit Künstler- und Malerbüchern, hat ein neues Kapitel in ihrem facettenreichen Werk aufgeschlagen: Bilder zu Gedichten. Zwischen den textnahen Illustrationen und den textfreien Künstlerbüchern nehmen diese Bilder eine Mittelstellung ein. Der assoziative Bezug zum Text bleibt erhalten, und doch sind es ganz eigenständige Variationen auf ein im Gedicht angestimmtes Thema. Streng gebunden im Format einer Buchseite entfalten sich Heike Ellermanns Bildgedichte. Es sind keine Illustrationen, keine gegenständlichen und erzählenden, mithin keine epischen Bilder. Es sind lyrische Bilder, freier und zugleich in seiner Formsprache gebundener Ausdruck. Jedes Bild eine Antwort, ein paariger Tanz mit dem Text-Gedicht.
Luftschlösser

Die Schwalben
sind ausgewandert
aus dem Kinderland

Ausgewandert
das Kinderland

Die Kinder
alt geworden

Ich
im Niemandsland
baue Luftschlösser
aus Papier
Gedichte von Rose Ausländer sind es, die Heike Ellermann übersetzt ins Bild. In Czernowitz als Jüdin geboren, hat Rose Ausländer das Nazi-Regime überlebt. Ihr „Kinderland“ ist verloren, die heimatlose Dichterin füllt den leeren Raum mit Sprache und Poesie. „Ich / im Niemandsland / baue Luftschlösser / aus Papier“. Und Heike Ellermann tut es ihr nach, lässt sich anrühren vom Wortzauber der Dichterin, baut papierene Luftschlösser mit Farben und Formen.
Das weiße Blatt Papier als stumme Herausforderung dichterischer Arbeit, dieses wiederkehrende Motiv in der Lyrik Rose Ausländers finden wir wieder in den Bildern. Blätter und Papiere, Texträume mit Schriftzeilen sind angedeutet. Schrift wird sichtbar, aber nicht lesbar, ist verdeckt und wieder frei gekratzt, bleibt Spur, Kürzel, Verweisung auf sich selbst und über sich hinaus. Eine einheitliche Grundfarbe in jedem Bild eröffnet einen flächigen Bildraum, in dem Figuren eher schweben als fixiert sind. Wer diese Bilder anschaut, wird eingeladen zum Aufenthalt, zum Innehalten, zum Schauen und Lesen – vor und zurück.
(Rudolf Fietz)

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